Mindestleistung

Warum nicht die 100 Besten in jeder Disziplin?

Herkömmliche Bestenlisten beenden nach einer im voraus festgelegten Zahl von Leistungen pro Disziplin die Auflistung der Athletinnen und Athleten. Das heißt: es gibt die 10, 20, 30 oder 50 Besten pro Wettbewerb. Seltener sind die 100 Besten und Ausnahmen führen die 300 Besten je Disziplin und Altersklasse auf. Sicher mag es "ordentlich" aussehen, wenn bei jedem Wettbewerb nahezu die gleiche Anzahl von Leistungen registriert ist - dennoch: So sinnvoll wie es scheint, ist dies bei einer "ewigen" Bestenliste nicht. Warum?

Wahrscheinlich wird sich jeder ernsthafte Leichtathletik-Statistiker - bevor er mit dem Zusammentragen der Daten beginnt - überlegen: "Wo höre ich auf?"- Das heißt: Wenn ich mich nicht auf eine konkrete Zahl von Leistungen pro Disziplin festlege, muß ich eine sogenannte "Mindestleistung" bestimmen, die zu erreichen ist, um überhaupt in die "ewige" Bestenliste aufgenommen zu werden. Selbstverständlich bleibt es jedem Leichtathletik-Statistiker selbst überlassen, wo er die Grenze bei jedem Wettbewerb und in jeder Altersklasse ziehen will. Es gibt dafür keine festen Regeln, so dass dies ein Punkt ist, bei dem er "Kreativität" einsetzen kann.

Wird diese Mindestleistung ziemlich niedrig angesetzt, bedeutet das viel Arbeit für den Statistiker. Setzt er die Mindestleistung hoch an, hat er entsprechend weniger Arbeit. Auf unsere "ewigen" Bestenlisten übertragen macht es einen großen Unterschied, ob man über 100 m der Männer 10,7 (10,94) oder 10,8 (11,04) als Mindestleistung festlegt.

Angenommen, der Statistiker hat sich dafür entschieden, die 50 Besten zu nehmen. Weiter angenommen - um bei Beispiel 100 m Männer zu bleiben - einschließlich 10,5 bekommt er 32 Leistungen (etwa bei einer "ewigen" Bezirks-Bestenliste) zusammen. Nun möchte er aber die 50 Besten auflisten. Es bleibt ihm nun nichts anderes übrig, als auch die 10,6-Läufer aufzuführen. Doch das sind gleich (angenommen) 33 Leistungen. Ergo: Schon hat der Statistiker, der sich auf eine "runde" Zahl festlegen wollte, in einer Disziplin 65 Leistungen (32 einschließlich 10,5 plus 33 mit 10,6). Und so wird es ihm bei mehreren Wettbewerben ergehen. Dies allein ist schon ein Grund, warum eine von vorneherein bestimmte Anzahl von Ergebnissen pro Disziplin nicht optimal ist. Aber der entscheidendere Grund kommt noch:

In dieser Arbeit wurden Mindestleistungen nicht willkürlich festgelegt. Der Autor hat dafür ein exaktes Kriterium herangezogen. Und zwar sollte als Mindestleistung für eine Disziplin die beste letzte Jahresleistung aller Jahre gelten. Selbstverständlich nur bei Disziplinen, in denen jährlich die 20 Besten registriert werden, also nicht beim Stabhochsprung weiblich oder dem Hindernislauf der Frauen.

Bei den Senior(inn)en sieht es noch ein wenig anders aus: Da hier in der Vergangenheit nicht immer die 20 Besten pro Wettbewerb registriert wurden, galt nur diejenige letzte Leistung als Mindestleistung, wenn in der Altersklasse und dem entsprechenden Wettbewerb mindestens drei Teilnehmer aufgeführt wurden. Dies ist z.B. bei 70-jährigen Damen nicht mehr der Fall.

Dazu ein Beispiel für die "ewige" Bestenliste der männlichen Jugend A in Schwaben über 400 m:

1950 - 1960 - 57,0 1970 - 54,5 1980 - 54,5 1990 - 52,62
1951 - 1961 - 55,9 1971 - 53,8 1981 - 53,6 1991 - 53,47
1952 - 1962 - 55,1 1972 - 54,4 1982 - 53,7 1992 - 55,52
1953 - 58,2 1963 - 55,2 1973 - 54,9 1983 - 52,9 1993 - 58,16
1954 - 60,6 1964 - 54,0 1974 - 56,3 1984 - 53,1 1994 - 58,17
1955 - 56,4 1965 - 54,5 1975 - 54,6 1985 - 53,0 1995 - 61,83
1956 - 56,7 1966 - 54,7 1976 - 54,9 1986 - 53,7 1996 - 60,33
1957 - 56,0 1967 - 55,4 1977 - 55,6 1987 - 54,56 1997 - 58,42
1958 - 56,4 1968 - 55,2 1978 - 54,8 1988 - 53,27 1998 - 55,98
1959 - 56,5 1969 - 55,2 1979 - 54,52 1989 - 53,28 1999 - 58,74

Von 1953 bis 2006 ist jeweils die letzte Leistung der schwäbischen Bestenliste für die männliche Jugend A über 400 m aufgeführt. Da 1983 die 52,9 als beste letzte Leistung erscheinen, wurde diese Zeit als Mindestleistung für diese Altersklasse in dieser Disziplin herangezogen. Auch im 21. Jahrhundert wurden die 52,9 Sekunden als letzte beste 400 m-Zeit bei der männlichen Jugend A nicht unterboten: 2000: 59,38 - 2001: 58,27 - 2002: 61,00 - 2003: 59,30 - 2004: 58,98 - 2005: 62,47 - 2006: 57,59. Nebenbei: 1995 konnte man fast 9 Sekunden langsamer laufen, um unter die besten schwäbischen "Viertelmeiler" bei der männl. Jugend zu kommen. (Wenn man weiß, dass es in anderen Regierungsbezirken ähnlich aussieht, dann wird man sich mit Kritik zurückhalten).

Geht man von diesem Kriterium zur Feststellung der Mindestleistung aus, könnte man überrascht sein. Aber in der Tat gibt es nichts Gerechteres als die so festgestellte Mindestleistung. Warum? Jeder Leichtathlet weiß - und nicht nur er - dass es mehr Läufer gibt, die 100 m sprinten als z.B. die 100 km. Und genau diese Tatsache wird bei der Festlegung der Mindestleistung ( die beste letzte Jahresleistung aller Jahre) berücksichtigt. Das beudetet, daß mehr 100 m- als 100 km-Läufer erfaßt werden - genau so, wie es im wirklichen Leichtathletik-Leben auch ist.

Im Umkehrschluß bedeutet dies, dass bei einer konventionellen "ewigen" Bestenliste der 30. 100 m-Läufer besser zu bewerten ist als der 30. 100 km-Läufer - eben weil beim Kurzsprint die Konkurrenz ungleich größer ist. Wer hat sich darüber schon mal Gedanken gemacht?

So kommt es also zu den unterschiedlich langen Listen pro Wettbewerb. Sie spiegeln jedoch die reale in etwa gleich große Leistungsbreite im Freistaat Bayern wider. - Es versteht sich, daß die Mindestleistungen in einer "ewigen" Bestenliste höher sein müssen als in einer "gewöhnlichen" Jahresbestenliste. Und jeder, der ein wenig Einblick in die Materie "Leichtathletik-Statistik" hat, wird erkennen, dass alleine das Feststellen (nicht Festlegen) der Mindestleistungen bei Dutzenden von Disziplinen und mindestens 30 Altersklassen (männl./weibl. und alle Senioren-Altersklassen) mehrere hundert Mindestleistungen aus rund einem Jahrhundert ergeben.

Haben wir weiter oben gesehen wie die absolute Mindestleistung in einer Altersklasse in einem Wettbewerb ermittelt wird, so wollen wir kurz sehen, wie die jährliche Mindestleistung in einem Wettbewerb und in einer Altersklasse zustande kommt: Dazu werden von allen sieben Regierungsbezirken die letzten Leistungen des betroffenen Jahres in der entsprechenden Altersklasse und im gewählten Wettbewerb genommen.
Beispiel:
1983 - 400 m - männliche Jugend A: Oberbayern: 53,00 - Niederbayern: 52,5 - Schwaben: 52,9 - Oberpfalz: 54,9 - Oberfranken: 55,6 - Mittelfranken: 54,4 - Unterfranken: 53,64.
Da hier die 52,5 von Niederbayern die beste letzte Leistung in 1983 ist, ist diese Zeit auch die Mindestleistung für Bayern, um noch einen Rangplatz zu bekommen. Da bei den besten 20 Läufer in Bayern bei der männl. Jugend A bei 51,30 Schluß ist (siehe BLV-Jahrbuch 1983, Seite 126), kann so exakt bis 52,5 die bayer. Jahresbestenliste fortgeführt werden ohne dass ein Athlet fehlt. Dieser Umstand ist entscheidend dafür, dass ich einem Athleten sagen kann, dass er z.B. in einem Jahr der 55. in Bayern war.